Der blinde Darm

Wieder was fürs Leben gelernt, vorgestern. Und zwar: Gehe niemals auf die Notaufnahme eines Krankenhauses, solange du noch selber mit dem Radl hinfahren kannst. Zwei Tage anhaltender Bauchschmerz nötigte mich zu einem Arztbesuch. Die Ärztin empfahl mir, es im Krankenhaus abklären zu lassen. Ich gehorchte, obwohl der Bauchschmerz eher besser als schlimmer wurde. Das war der Fehler.

Fuhr also mit dem Radl ins Harlachinger Krankenhaus. Es war 18 Uhr. Die Dame an der Anmeldung ließ sich erstmal 20 Minuten Zeit, bevor sie geruhte mich zu empfangen. Dann schickte sie mich in den Wartebereich der Chirurgie. Der befindet sich auf einem Flur. Dort stand ein Bett mit einer alten, verwirrten Frau, die mich mit: „Schwester, liiiebe guuuute Schwester“ begrüßte. Ich sagte ihr, ich sei nicht die Schwester aber sie werde bestimmt gleich kommen. Trotzdem rief die arme Frau weiter durch den Gang. „Schwester, liiebe guuute Schwester“. Mein Bauchschmerz wurde immer weniger.

Um halb acht wurde ich in  eine Box mit Schiebetür gerufen. Ein Doktor kam und, ohne mich groß zu untersuchen, setzte er mir eine Kanüle in den Handrücken. „So müssen wir Sie nicht zwei Mal stechen, falls es eine Blinddarmentzündung ist“. Dann nahm er mir vier Ampullen Blut ab. Die Ergebnisse seien nach einer Dreiviertelstunde da, sagte er. Dann drückte er an meinem Bauch herum. Rechts, wo es am meisten weh tat, da sei genau der Blinddarm, sagte er. Aber es fühle sich noch nicht so gespannt an. Man müsse erst die Ergebnisse abwarten.

Dann schloss er mich an den Tropf an.  Wieso brauche ich das?  Das sei nur Salzlösung, sagte er  „Die Patienten sind oft ausgetrocknet, dadurch werden die Beschwerden oft besser.“ Sprach’s und verschwand durch die Schiebetür. So lag ich, angekettet an den Tropf, auf der Liege. Mir blieb nichts, als die Süddeutsche zu lesen und zu warten. Eine halbe, eine dreiviertel, eine Stunde verging. Niemand kam. Zu hören war nur ein Mann in der Box neben mir, der vor Schmerzen stöhnte. Nach mehr als einer Stunde stand ich auf. Das Kabel vom Tropf reichte gerade so, dass ich die Schiebetür aufmachen konnte. Mir wurde klar, warum der mich an den Tropf gehängt hatte: Damit man nicht auf den Gang kann, um zu fragen, weshalb sich niemand um einen kümmert.

Keine Schwester war hinter der Schiebetür zu sehen. Es war nach neun. Als endlich eine kam und ich sie fragte, wo denn meine Ergebnisse und wo der Doktor sei, meinte sie: „Der Doktor ist gerade im OP. Notoperation.“ Wie lange das dauere? „Können auch zwei Stunden sein“, sagte sie. Darauf sagte ich: Solange warte ich nicht. Sie: Aber sie haben doch Bauchschmerzen. Ich: So schlimm sind die nicht mehr. Man halte hier niemanden fest, aber ich müsse was unterschreiben. Sie rufe mir einen anderen Arzt. Dann verschwand sie und kam nicht wieder. Durch die Schiebetür sah ich, wie sie mit Mantel und Hut in den Feierabend verschwand.

Ich nahm den Beutel mit dem Salzwasser von dem Gestell an der Liege, marschierte auf den Gang und ins Schwesternzimmer. Eine sehr garstige Schwester verwickelte mich daraufhin in ein Streitgespräch. Oder ich sie. Dann brachte sie mir den Wisch, meinte, der Doktor habe einen neuen Notfall bekommen, ich solle das unterschreiben. Sie riss mir  unsanft die Nadel vom Handrücken. Ich ließ mir die Blut-Ergebnisse ausdrucken, nahm meine Tasche und radelte heim. Dann machte ich mir ein große Portion Röstkartoffeln mit Spiegelei. Der Blinddarmschmerz war kaum noch zu spüren.

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