Achtung, Superlativ!

Der Mensch strebt immer ans Ende der Welt. Weil es aber recht viele Enden gibt, sucht er sich jene aus, die irgendeinen Superlativ darstellen. Man will ja etwas zum Angeben, pardon, zum Erzählen haben. Da keuchen durchschnittlich begabte Bergsteiger auf den Mount Everest, weil er der höchste Punkt der Welt ist. Sie nehmen dafür wochenlanges Schädelweh, Schlangestehen und ungenügende hygienische Verhältnisse in Kauf. Dass es am unbekannten Nebenberg viel schöner, ruhiger und vor allem billiger zugeht, schert sie nicht. Aber so sind wir halt. Unter dem Maximum machen wir es nicht.

Das hat auch die Tourismusindustrie erkannt. Und weil der Superlativ selten eine naturgegebene Größe ist, helfen die Fachleute aus den Marketing-Abteilungen emsig nach. So eröffnete kürzlich der „erste ökumenisch-biblische Weinpfad Norddeutschlands“ in Höxter-Corvey. Mit ganzen 2,3 Kilometern wäre er selbstredend auch der längste ökumenisch biblische Weinpfad Norddeutschlands. Doch wo man der erste sein kann, also Pionier für die Ewigkeit, da sollte man nicht auf vergängliche Längenmaße pochen. Wer weiß, bald gibt es da oben einen zweiten ökumenisch-biblischen Weinpfad, 2,9 Kilometer lang. Dann sieht man alt aus in Höxter.

So alt, wie die modernen Turmbauer zu Shanghai, Taipeh oder Dubai. Sie errichten die höchsten Gebäude der Welt, so lange, bis die Schildbürger in einer anderen Großstadt noch ein paar Stockwerke draufsetzen. Ätsch! Da ist man sicherer, wenn man den Superlativ an die kurze Leine nimmt, wie etwa der Flughafen München. Nein, man wirbt nicht damit, der mit der längsten S-Bahnfahrt zu erreichende Flughafen Mitteleuropas zu sein. Sondern mit der „größten stehenden Welle an einem Flughafen“, wenn einmal im Jahr zum „Surf & Style“-Event ein Bassin samt Gegenstromanlage aufgebaut wird, die eine sage und schreibe zehn Meter breite Welle erzeugt.

Überhaupt bietet das Thema Superlativ noch unausgeschöpfte, kreative Entfaltungsmöglichkeiten. Am anderen Ende des Landes wirbt die Ostseeinsel Usedom mit dem nördlichsten Weinberg Deutschlands. Etwa 80 Flaschen „Loddiner Abendrot“ wirft der jedes Jahr ab. Bestimmt reicht es da auch noch für den kleinsten Weinberg des Landes. Zwei Superlative sind besser als einer. Und München könnte bald nicht nur die Stadt mit der größten Flughafenwelle sein, sondern „die Stadt mit dem größten Skigebiet auf einem Müllberg“. Wenn da nur nicht die ganzen Auflagen wären, die den Bau der Lifte neben der Allianzarena immer wieder verzögern!

Wer es lieber dunkel und trocken hat, der kann abtauchen in die „größte Buntsandsteinhöhle Europas“. Sie wartet bei der schönen Stadt Homburg auf Erkundung und ist kombinierbar mit der daran anschließenden Bunkeranlage aus den 1950er-Jahren, die sträflicherweise noch mit keinem Superlativ behaftet ist. Dabei wäre es so einfach: „Die größte, an eine Buntsandsteinhöhle anschließende Bunkeranlage Europas“. Wenn da nicht die Kassen klingeln! (SZ vom 31.10.13)

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