Das soll Österreich sein?

Achtung Fasan! Hoppla Feldhase! Ziesel! Wieder ein Fasan! ,,Furchtbar blöde Viecher“, findet Alfred Komarek, während er seinen Mini über die sanften Hügel steuert. Es kreucht und fleucht überall, sonst sind die Straßen leer. An grellen Rapsfeldern geht es vorbei, an braunen und schon zartgrünen Äckern und natürlich immer wieder durch Weinberge, die hier, südlich von Retz, landschaftsbestimmend sind. Schließlich heißt es ja Weinviertel, da darf man das erwarten. Andererseits sind nur fünf Prozent dieser Region, die sich vom Nordrand Wiens bis an die tschechische Grenze erstreckt, mit Reben bepflanzt. Der Rest ist gemeines Ackerland. In vielen Dörfern ist von weitem nicht zuerst der Kirchturm, sondern der Raiffeisen-Getreidespeicher-Turm zu sehen. Ungetüme aus Beton, die wie trojanische Pferde an sonst oft intakten Dorfbildern kleben.

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Von der Landschaft gehen keine Befehle aus. ,,Das finde ich sympathisch, sagt Alfred Komarek, ,,man kann einfach drauflos fahren, es gibt oft drei Güterwege von einem Dorf ins andere, man kann sich eigentlich nicht verfahren. Komarek ist Schriftsteller, bekannt vor allem für seine vom ORF verfilmten Krimis, in denen der Gendarmerie-Inspektor Simon Polt hier im Weinviertel ermittelt. Aber er ist vor allem auch einer der besten Weinviertel-Kenner, weiß ziemlich gut, wie die Menschen in dieser Landschaft ticken. Nach längerer Fahrt durchs Pulkautal, immer parallel zur keine fünf Kilometer entfernten tschechischen Grenze, parkt er an der Kellergasse von Obritz vor einem weiß gekalkten Presshaus. Er schließt mit einem großen Schlüssel die Holztür auf und bittet hinein. Im Halbdunkel steht ein große hölzerne Weinpresse, ein langer Tisch mit zwei Bänken. Komarek, der einen elfenbeinfarbenen Dandy-Anzug trägt, schließt eine zweite Tür auf, hinter der eine steile Treppe in die Tiefe führt. Ein paar Glühbirnen erhellen ein langes Kellergewölbe mit mehreren Seitenstollen, es ist ziemlich kühl und riecht nach feuchtem Sand. Kein Wunder, denn die meisten Keller sind hier aus einer dicken Sand- und Lößschicht herausgekratzt. Das ist so stabil, dass es meist kein Mauerwerk braucht. Komarek hat schon 1978 Presshaus samt Keller gekauft und seinen Namen, wie es Brauch ist, in die sandige Kellerwand geritzt. Ein paar alte Holzfässer stehen herum, fadendünne Wurzeln hängen aus dem sandigen Gewölbe auf der Suche nach Feuchtigkeit, in einem Seitengang liegt ein Haufen Weinflaschen auf dem Boden: ,,Die sind vom Erwin Steinhauer“. Der Schauspieler hat die Hauptrolle in den Polt-Verfilmungen gespielt und ist mit Komarek befreundet.

Eine ganz eigene Welt seien die Presshausgassen mit ihrem oft mehrstöckigen Kellergeflecht, sagt Komarek. Etwas abseits der Dörfer wurden sie in die Nähe der Weinberge gebaut, um die Verarbeitung der Trauben zu erleichtern. Abgesehen von der Weinlesezeit, waren sie reine Männerdomäne. ,,Was hier unten im Keller beschlossen wurde, hatte Bestand. Schnell einmal werde man zwar auch als Fremder oder Zugereister auf ein Glasl ins Presshaus eingeladen, was aber noch lange keine Freundschaft bedeute. Die Weinviertler seien misstrauisch, zu viele Heere seien über das topographisch ungeschützte Land hinweggezogen. So habe es etwa zwei Jahre gedauert, bis er von seinem Presshausnachbarn akzeptiert worden sei. ,,Irgendwann hat er mir eine Dopplerflasche gebracht, mit den Worten: ,Das gehört ihnen, aber die Flasche krieg ich zurück, aber erst, als mein Sessel plötzlich bei ihm drüben stand, wusste ich: Nun bist du anerkannt. Komarek pflegt ein liebevoll-kritisches Verhältnis zu den Weinviertlern, er kann sich schelmisch darüber amüsieren, dass ihm als Junggeselle nun ein Verhältnis zu einer Unido-Mitarbeiterin angedichtet wird, die das verfallende Presshaus neben seinem gekauft hat. Neulich habe ihn beim Schnitzelkauf die Metzgerin in Obritz gefragt: ,,Allein braucht man ja nicht viel, gell? Oder brauchens doch mehr?“

Es ist Provinz im allerbesten Wortsinn, und wer das Weinviertel von West nach Ost durchreist, kann gar nicht glauben, dass das Österreich sein soll. Keine Hotelburgen, keine Holzbalkone, überhaupt kaum Pensionen und Fremdenzimmer. Man kann hier bei Winzern wohnen oder im Dominikanerkloster von Retz, aber auch nur, wenn man sich die Nummer des etwas gästescheuen Vermieters auf Umwegen besorgt. Und hat er erstmal Vertrauen gefasst, zeigt er einem vielleicht auch die kleine, schmucke Barockbibliothek und den Kreuzgarten.

Wer mit verbundenen Augen auf den monumentalen Hauptplatz der Kleinstadt Retz gebracht würde, wähnte sich bestimmt eher in einer italienischen Stadt. Wuchtige, teils zinnenbewehrte Häuser umfassen das mitten auf dem Platz gebaute Rathaus mit seinem hohen Turm. Das alles kündet von einem selbstbewussten, reichen Bürgertum. An der Kreuzung zweier wichtiger Handelswege gelegen, hatten die Retzer Bürger jahrhundertelang das Weinhandelsprivileg. Die Bauern des Umlandes waren verpflichtet, den Wein in die Stadt zu bringen, wo er von den Händlern weiterverkauft wurde. Deswegen verläuft unter der gesamten Stadt ein mehr als 20 Kilometer langes, dreistöckiges Kellersystem. Seit Maria Theresia den Retzern ihr Privileg wegnahm, wird es kaum noch genutzt, kann aber besichtigt werden.

Der Wein. Obwohl nur fünf Prozent der Fläche mit Weinbergen bebaut sind, ist es das größte Anbaugebiet Österreichs. Früher war es eher für Masse als Klasse berüchtigt, heute sind hier einige der besten Winzer des ganzen Landes zu finden. Die Hauptrebe ist der Grüne Veltliner, der auch von hier stammt. Wer dabei an Heurigenabende mit ungeheurem Schädelweh denkt, der sollte zum Gegenbeweis bei den Bauern vorbeifahren, beim Weingut Seher etwa oder beim Fidesser im alten Angerdorf Platt, wo die vielen Spielarten dieser Sorte je nach Bodenart und Ausbau zuüberraschenden Erlebnissen führen können: Aha, und das soll der gleiche Wein sein?

So ist es eigentlich kaum zu vermeiden, dass man dasWeinviertel stets leicht alkoholisiert durchreist, hier ein Achterl, und dort was verkosten, und beim Norbert Bauer in Jetzelsdorf noch seinen Schatzberg Cuvée, oh je, . . . schon wieder ein Fasan!

Bis man dann schließlich in Poysdorf angekommen ist, dem östlichen Weinzentrum des Viertels. Das Dorf ist nicht besonders spektakulär, das mag auch daran liegen, dass die Bundesstraße und der Schwerverkehr mitten hindurch führen. Doch die flachhügelige Landschaft drumherum ist die größte Weinbaugemeinde Österreichs. „In Wien habe ich ruhiger gewohnt“, sagt Marion Ebner-Ebenauer. Wie eine Weinbäuerin wirkt die 28-Jährige nicht gerade, in ihrem türkisfarbenen Sommerkleid und mit der großen Sonnenbrille. Sie war vor kurzem auf der Weinmesse in Prag, „dort haben sie mir das auch nicht geglaubt“. Sie ist daran gewöhnt, erst mal unterschätzt zu werden. Doch sobald die Leute die Bewertungen ihrer Weine lesen, werden sie kleinlaut. In allen namhaften Weinführern bekommen sie und ihr zwei Jahre älterer Mann Manfred hohe und Höchstnoten.

Die zwei, die hinter einer unauffälligen grauen Tür in einem weitläufigen Hinterhof ihrem Tagwerk nachgehen, sind ein ungleiches Paar. Sie extrovertiert, redegewandt, er ruhig und besonnen, fast schüchtern. Auf einer Schule für Weinmanagement haben sie sich kennengelernt, seit 2007 führen sie gemeinsam den Betrieb, der früher einmal seinen Eltern gehörte – in 15. Generation! Zuerst wollte Manfred gar nicht Weinbauer werden, der Vater erneuerte die alten Rebstöcke deshalb nicht. Das komme ihm heute zugute, denn die alten Stöcke hätten zwar wenig, aber sehr hochwertigen Ertrag. „Mein Vater ist ein exzellenter Weinbauer, aber miserabel im Marketing.“ Letzteres treffe auf ihn selbst auch zu, aber dafür hat er ja seine Frau. Obwohl sie auch schon sehr erfolgreiche Weine gemacht hat, und sie gemeinsam den Ausbau diskutieren, ist er eher der Tüftler im Keller, der mit Stahl, Holz und Hefe experimentiert, sie die gewiefte Vermarkterin, die es schon in diverse Wiener Magazine gebracht hat. Die Cover, auf denen sie wie ein Model posiert, hängen im Büro. „Ich kann aber auch ein Schweindl zerteilen“, sagt sie beschwichtigend, „und wenn ein Reh totgefahren wird, graust es mir nicht davor, es zu zerlegen.“

Als Beifahrer im alten Skoda hofft man, dass das nicht passieren möge, schließlich weiß man jetzt um den heimischen Wildbestand. Der Skoda ist besetzt mit den zwei Ebner-Ebenauers, der Gault-Millau-Testerin, die heute den 2009er Jahrgang verkostet hat, der braunen Labradorhündin Mocca und dem Reporter. Es geht zum Abendessen in das Gasthaus Neunläuf in Wilfersdorf, vorbei an Weinbergen und Rapsfeldern. Die Gault-Millau-Testerin schwärmt von der „Komplexität“ der Ebner-Ebenauer-Weine und dass sie im Vergleich zu 2008 noch mal „eine Spur feiner“ daherkommen.

Das Gasthaus kommt optisch ganz gewöhnlich daher, vielleicht abgesehen von einem Mannerschnitten-Spender an der Wand, bietet aber ambitionierte regionale Küche. Im Speisesaal nebenan sitzt der Künstler Hermann Nitsch. Das ist der mit den Schweineblut-Bildern. Er lebt hier in der Nähe. Aus der Ferne ist leider nicht zu sehen, ob das Schnitzel auf seinem Teller noch zuckt.

Manfred Ebenauer würde eigentlich lieber Bier trinken, der Kellner bringt ihm aber ungefragt immer wieder Weißweine zur Blindverkostung. „Viele Wiener“, sagt er, „kennen ganz Italien und seine Weine, aber hier, 40 Kilometer entfernt, im Weinviertel, waren sie noch nicht.“ Die Region erhole sich nur langsam von dem Sackgassendasein, das ihr durch den Eisernen Vorhang aufgenötigt worden war. „Und besonders offen sind meine Landsleute nach wie vor nicht, auch, weil jeder Angst hat, dass ihm der andere seine Kellergeheimnisse abschaut.“ Während Manfred immer offener wird und gesteht, dass er und Marion einmal bei einer Blindverkostung keinen einzigen ihrer eigenen Weine erkannt hätten, trinkt die Dorfjugend Bier aus Dreiliter-Krügen und grölt so laut, dass man das eigene Wort nicht mehr versteht.

Dann geht es wieder hinaus in die linde Frühlingsnacht, beschwingt über dunkle Landstraßen Richtung Poysdorf. Wie gut, dass all die Fasane, Hasen und Rehe schon zwischen den Weinbergen schlummern.

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