Khadys Büro

Zwei Anzugträger, Typ steifer Geschäftsmann, drei Frauen, eine davon Khady Gueye, die Fahrstuhlbegleiterin. „Haben wir nicht Glück”, sagt Khady absichtlich laut zu den beiden Frauen, „dass wir mit zwei so attraktiven Männern im Lift fahren dürfen?” Die Frauen lächeln freundlich, die beiden Männer lassen keine Regung erkennen. „Haben Sie mich vielleicht nicht verstanden?”, fragt Khady nach einer kurzen Pause. „Ja, doch”, sagt einer der Anzugträger. „Ja dann, warum lächeln Sie nicht?” Die Frauen lachen, die Männer müssen nun zwangsläufig lächeln, das Eis ist gebrochen.

Khady ist von Berufs wegen eine Art Eisbrecher. Ihr Arbeitsplatz ist der Aufzug im The Pierre Hotel, einem Dreißiger-Jahre-Hochhaus mit 40 Stockwerken direkt am Central Park. Nun ist ein Aufzug an sich schon eine eher gezwungene Örtlichkeit, hier kommt die noble New Yorker Adresse noch erschwerend hinzu. In dem Gebäude sind nicht nur 189 Hotelzimmer untergebracht, sondern insgesamt auch 80 Privatwohnungen, deren reiche, zum Teil auch prominente Eigner denselben Lift nehmen wie die Hotelgäste. Als eines der beiden letzten New Yorker Hotels hat das The Pierre noch Aufzugbegleiter, die hier „Elevator Attendant” heißen, was gleich schon viel edler klingt als Liftboy, ein bisschen nach militärischem Dienstgrad. Der Job der Attendants: In dunkler Uniform und mit weißen Handschuhen betätigen sie die Messingknöpfe des mit lackiertem Holz getäfelten Aufzugs. Man sagt ihnen das Stockwerk, und sie bringen einen hin. Kein Aufzug fährt je ohne einen der neun festangestellten Begleiter, die im Schichtdienst Tag und Nacht bereitstehen. Der überflüssigste Job der Welt, könnte man sagen, der langweiligste obendrein.

Doch das wäre natürlich kurzsichtig. Denn was sich zwischen dem Knopfdrücken und dem Bye-bye-Sagen abspielt, ist ein ganzes Universum, eine eigene Welt, in der niemand sich so geschmeidig und gekonnt bewegt wie Khady. „Augenkontakt!”, damit fange es schon mal an. „Haben Sie gut geschlafen?” Oder: „Oh, Ihre Schuhe sind zauberhaft, aber es regnet heftig heute und ich möchte, dass Sie auch abends so gut aussehen wie jetzt.” So distanziert manche Kundschaft auch sei, es gelinge ihr fast immer, sie zum Lächeln zu bringen, sagt Khady: „Und in dem Moment weiß ich: Ich habe es geschafft!” Die meisten Gäste wollten eine persönliche Ansprache, sie zahlten viel Geld für das Zimmer. „Ich muss mich deshalb gut informieren, wann Stammgäste ankommen, um sie im Aufzug zu begrüßen.”

Mit jemandem in den 39. Stock zu fahren und ihn anzuschweigen, das würde ihr fast körperliche Pein bedeuten. „Khadys Office” nennt sie selbst den Aufzug, ihr Reich. Und wer es betritt, muss sich nach ihren Regeln verhalten. Das geht fast von selbst, denn ihre Offenheit ist entwaffnend. Da gebe es manchmal Gäste, erzählt Khady, die sich beschwerten, dass sie sich nicht an deren Stockwerk erinnere, an das anderer Gäste aber wohl. Dann lege sie die Hände an die Hüften, mache „die mädchenhafte Nummer” und sage: „Das mag daran liegen, mein Herr, dass Sie mich kaum anschauen und noch nie eine nette Bemerkung zu meiner Frisur gemacht haben.” Unterwürfig ist sie nie, sie begegnet den Gästen stets auf Augenhöhe.

Als Kind senegalesischer Einwanderer kam sie nach New York, als sie acht war. Mit Kindern kann sie besonders gut, sie hat selbst drei und ist alleinerziehend, „weshalb ich diesen Job auch dringend behalten muss”. Greint ein Gästekind im Aufzug, so fängt sie an, ihm Geschichten zu erzählen: „Hier, auf diesem roten Hocker im Lift, wo du jetzt sitzt, saß schon mal Michael Jackson.” Das stimmt zwar nicht, aber über Michael Jackson weiß Khady einiges aus erster Hand.

In den achtziger Jahren habe sie als Stubenmädchen das 53. Stockwerk des benachbarten Helmsley-Hotels betreut. Da traf es sich, erzählt Khady, dass der King of Pop auf dieser Etage eine Suite kaufte, die sie auch putzen musste: „Seine Leibwächter sind mir nachgestiegen und haben mich bedrängt, bis zu dem Tag, als ich Michael gebeten habe, ein Machtwort zu sprechen.” Das einzig Unangenehme an dem Job sei aber gewesen, dass Jacksons Schimpanse das Popcorn in der ganzen Suite verteilt habe: „What a mess!” – was für ein Durcheinander!

Geschichten kann Khady, die 53 ist, aber eher aussieht wie 35, am laufenden Band erzählen. Liz Taylor habe sie immer „Black Queen” genannt und ihr ein Diamantherz geschenkt. Und die Country-Sängerin Dolly Parton habe ihr geraten, Perücken zu tragen, was sie seitdem tue: „Manchmal ziehe ich nach der Mittagspause eine andere an, dann schauen die Leute verdutzt und sagen: ,Sie hatten doch eben noch längere Haare‘.”

Wenn man aber von ihr wissen will, wer heute im The-Pierre-Gebäude wohnt, wird Khady einsilbig. Diskretion ist Ehrensache, noch mehr, weil sie gerade den Wohnungseigentümern ihren Job zu verdanken hat. Das Hotel gehört schließlich mehreren „Residents” gemeinsam. Und als die diversen Hotelbetreiber-Gesellschaften zwei Mal versucht hätten, den Job des Fahrstuhlbegleiters aus Kostengründen abzuschaffen, hätten die Residents das nicht zugelassen und wohl auch dafür gezahlt.

Nur den ältesten Bewohner des Hauses rückt Khady dann doch heraus: Das sei der Kunstsammler Roy Rothschild Neuberger, mit 106 Jahren. Und ja, dass eine Suite im 40. Stock Tata-Suite heißt, ist auch kein Zufall. Gerade vor ein paar Tagen sei Ratan Tata wieder da gewesen, der indische Multimilliardär, dem die hier zuständige Taj-Hotel-Gruppe gehört. Man würde nicht denken, dass er es ist, wenn man ihn sieht, meint Khady. „Er hat zu mir gesagt: ,Ich mag es, wie du bist. Bleib so!‘” Ihr Erfolgsrezept sei wohl, dass sie jeden gleich behandle: „Denn man kann nie wissen, wer es ist.”

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