Brüder, zum Herd!

Frauen? In der Küche? „Noo!“ Was für eine Frage! Fernando Antón betont das Nein mit Nachdruck. An diesen Herd, hinter dem er gerade steht, dürfen selbstverständlich keine Frauen. Fernando, ein grau melierter Mann Ende fünfzig, trägt über frisch gebügeltem Hemd eine blütenweiße Kochschürze. Theatralisch lässt er aus einem halben Meter Höhe etwas Salz zwischen Daumen und Zeigefinger in eine große, flache Pfanne rieseln, in der Fischstücke in einer grünlichen Sauce vor sich hin köcheln. „Die Frauen werden eingeladen, am Wochenende, so wie heute“, sagt Fernando, „aber kochen dürfen sie nicht.“

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Es ist ein Samstagmittag in der Sociedad Gastronomica Gaztelubide in der Altstadt von San Sebastián. Draußen weht ein warmer Herbstwind vom Meer her, das nur ein paar Schritte durch gepflasterte Gassen entfernt ist. Drinnen, im Lokal der Gaztelubide, wird unter geschnitzten Deckenbalken und im Kunstlicht hölzerner Lüster emsig geschnitten und gebraten, aufgedeckt und eingeschenkt. Immer mehr Gäste betreten den Raum und setzen sich an die langen Holztafeln. Die Gaztelubide, gegründet 1934, ist eine der traditionsreichsten Gastronomischen Gesellschaften der Stadt. Diese Kochklubs, von denen es hier etwa 130 gibt, haben eine Besonderheit. Nur Männer dürfen Mitglied werden. Man bekocht sich gegenseitig, spielt Karten oder trinkt zusammen ein paar Gläser Wein.

„Egal ob Arbeiter oder Arzt, hier drinnen sind alle gleich“, sagt Fernando Antón, während er seinen Seehecht mit Petersilie und Knoblauch überwacht. Dann erzählt er die weitverbreitete Geschichte vom Ursprung der Gastronomischen Gesellschaften, einer Besonderheit des Baskenlandes: Innerhalb der baskischen Familien hätten stets die Frauen den Ton angegeben, „Matriarchat“ nennen Fernando und seine Freunde das. Die Männer hätten weder bei der Kindererziehung noch in der für die Basken so wichtigen Küche mitreden dürfen. Es blieb ihnen also nichts übrig, so die Legende, als sich in Klubs zurückzuziehen, wo sie, unbehelligt von den gestrengen Ehefrauen, schalten und walten konnten. Am Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Handwerkerzünfte mit der Gründung dieser Sociedades, in denen die Männer ungestört günstigen Sidra oder Wein trinken konnten. Weil aber der Baske an sich erstens sehr wettbewerbsorientiert ist und zweitens enorm viel auf gutes Essen hält, lag es nahe, dass man später damit begann, sich auch etwas vorzukochen. Kochduelle zwischen den Sociedades gehören hier zum Jahresablauf.

Mit dem vermeintlichen Matriarchatist es heute natürlich auch im traditionsbewussten Baskenland nicht mehr weit her. Die Frauen gehen ihren Berufen nach, und die Zünfte sind längst verschwunden. Die Gastronomischen Gesellschaften aber sind geblieben. Die meisten von ihnen, so auch die Gaztelubide, lassen heute Frauen zumindest als Gäste zu, schließlich will man gemeinsam feiern. „Ich mag das hier sehr“, sagt Lourdes Lorente, Fernando Antóns Frau. Manche Frauen fänden die Sociedades zu sehr „machista“, sie aber nicht. „Ich muss nicht kochen und putzen, setze mich einfach hin und esse.“ Mittlerweile gebe es auch reine Frauen-Sociedades. „Furchtbar“, findet Lourdes, „da kritisieren doch alle nur!“ Fernando hat heute Freunde und Familie eingeladen, denn er feiert seinen 58. Geburtstag. Seine Freunde assistieren ihm in der Küche, es gibt diverse Vorspeisen, Garnelen und Guindillas, kleine, bittersüße, in Öl gebratene Paprika, Brie mit karamellisierten Waldbeeren darauf. Dazu wird in großen Gläsern Sidra oder Txakoli getrunken, ein leichter, spritziger Weißwein aus der Gegend.

Während drinnen den ganzen Nachmittag über gegessen und gefeiert wird, liegt draußen über der Stadt ein warmes Herbstlicht. Tausende Menschen flanieren die Promenade an der Concha-Bucht entlang, einem halbmondförmigen, drei Kilometer langen Stadtstrand. Die Gründerzeithäuser werfen ihre Schatten in den gelben Sand. Oben auf der Promenade drängen sich Passanten um Kleinkünstler, unten sind Kajakfahrer und sogar Schwimmer im Wasser, das vom Sommer noch relativ warm ist. Wenn hier, an der nicht gerade sonnenverwöhnten Biskaya, das Wetter einmal gut ist, sind alle auf den Beinen. Man merkt, dass San Sebastián oder Donostia, wie die hübsch am Atlantik gelegene Stadt auf Baskisch heißt, mal ein Kurbad war. Hier verbrachten die Königinnen samt Hofstaat im 19. Jahrhundert ihren Sommer, sie brachten guten Geschmack und gute Köche mit. Das machte aus der Garnisonsstadt ein mondänes Seebad, das später auch Diktator Franco zu schätzen wusste. Es gibt wegen eines großen Brandes 1813 kaum repräsentative alte Bauten oder klassische Sehenswürdigkeiten, dennoch besitzt die Stadt ein so angenehmes, lebendiges Flair, dass man sofort bleiben möchte.

Zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten gehört die Küche. Zwar hat San Sebastián nur knapp 200 000 Einwohner, aber insgesamt 14 Michelin-Sterne. Das liegt daran, dass Juan Mari Arzak, so etwas wie der Gottvater der iberischen Köche, hier seit den 1970er Jahren seine Neue Baskische Küche etabliert hat, zusammen mit Pedro Subijana und Martin Berasategui, von denen jeder ebenfalls drei Sterne sein eigen nennt. Zunächst vom nur 19 Kilometer entfernten Frankreich und seiner Nouvelle Cuisine inspiriert, ist die baskische Kochkunst heute eigenständig und sendet Impulse nach ganz Europa. Vor zwei Jahren wurde hier die erste kulinarische Universität Spaniens eröffnet, das Basque Culinary Center. In dem modernen Gebäude, das aussieht, als hätte jemand nachlässig Teller aufeinander gestapelt, können junge Leute ein Diplom der „Gastronomie und kulinarischen Künste“ erwerben.

Die angehenden Sterneköche können aber auch in den Gassen der Altstadt einiges lernen. Dort wechseln sich die exklusiven, den Mitgliedern vorbehaltenen Sociedades Gastronomicas mit vielen Restaurants und vor allem Pintxo-Bars ab. Pintxo, das ist die baskische Antwort auf die spanischen Tapas. Doch während Tapas meist gratis zum Getränk gereicht werden und häufig relativ simple Happen sind, biegen sich die Holztresen der Pintxo-Bars unter den kunstvollen Kreationen: Da sind Spießchen und Schüsselchen, Brotscheiben, auf denen sich frische Sardinen, Langusten und glasierte Zwiebelringe türmen, Teigtaschen mit schwarzem Tintenfisch und golden gefärbte Artischocken. Die kalten Pintxos nimmt man einfach von der Theke, die warmen bestellt man von der Karte. Gegessen wird im Stehen. Man isst immer nur zwei, drei pro Bar, ein Glas Txakoli dazu, und zieht dann weiter.

Es sei denn, man landet bei Amaia Ortuzar, der rothaarigen Köchin und Inhaberin der Ganbara Bar, die 2012 zur besten Bar Spaniens gewählt wurde. Seit 29 Jahren steht die Autodidaktin hier hinterm Herd, eine energiegeladene Frau, die ständig etwas Neues zum Kosten auf den Tresen stellt. „Wir kochen hier sehr einfach und immer das Gleiche“, sagt sie mit falscher Bescheidenheit und bringt einen Teller mit verschiedensten gebratenen Pilzen, der Spezialität des Hauses. In der Mitte ist ein roher Eidotter, in den man die Pilze tunkt, was unerwartet gut passt. „Es gibt fast keine Soßen in der baskischen Küche und wenig Gewürze“, sagt Ortuzar, „bei uns kommt es auf den Eigengeschmack der Zutaten an.“ Dann verabschiedet sie mit herzlicher Umarmung eine feine alte Dame, die bei ihr gegessen hat: „Agur!“, ruft sie ihr nach, das baskische Adios. Gleich darauf verschwindet sie wieder in der Küche und kommt mit Kokotxa zurück, das sind die gebratenen Kiemenbacken des Seehechts oder Stockfischs, eine gallertartige, gewöhnungsbedürftige Spezialität. Die Sterneköche kommen immer wieder zum Essen zu ihr, erzählt sie, ihnen schmecken die einfachen Gerichte, und sie schicken ihr auch immer wieder geeignete Kochlehrlinge.

Was sie von den Sociedades hält?

„Erst mal gehen sie mir ziemlich auf die Nerven mit ihrem Getue“, sagt Ortuzar. Aber die Kochklubs hätten auch einen Vorteil: „José, mein Mann, der fast jeden Tag in den Klub geht, stört mich dann wenigstens nicht in der Küche.“ Dann stellt sie pantomimisch dar, wie José sich die besten Pilze, Tomaten und Paprika von der Theke pickt und damit verschwindet. Sie selbst nehme Einladungen in den Klub selten wahr. „Denn dort sehe ich immer 100 Sachen, die man besser machen müsste, aber die Typen kommen nicht drauf.“

Die Typen, die singen lieber. Fernando Antón und ein paar seiner Freunde stehen nach vielgängigem Mahl und etlichen Drinks in ihren weißen Schürzen um das Klavier in der Gaztelubide. Ob baskische Volkslieder oder Opernarien auf Spanisch: Die Männer singen inbrünstig wie kleine Carusos und ziemlich gut, was wohl damit zu tun hat, dass sie alle in einem ambitionierten Chor sind. Der Chorleiter, ein Mann von barocken Ausmaßen, begleitet sie am Piano, die Gäste an den langen Tischen singen die Refrains mit. Es geht um Liebe und Tod, was sonst. Neugierige Touristen schauen zur offenen Tür herein, trauen sich aber nicht über die Schwelle. „Das Singen“, erklärt Fernando später bei einem Whisky, „gehört zu den Gastronomischen Gesellschaften genauso wie das Kochen und die Tamborradas.“ Das sind Trommlergruppen, die von den Sociedades unterhalten werden und die zum Namenstag des Stadtpatrons Sebastián am 20. Januar in alten Uniformen durch die Stadt marschieren, der Auftakt des Karnevals und Höhepunkt des Jahres. „Da müssen Sie kommen, da steht die ganze Stadt Kopf“, sagt Fernando. Die Sociedades halten die kulturellen Traditionen der Basken hoch und sie wurden deshalb natürlich auch oft von der ETA unterwandert. Seit diese 2011 der Gewalt abgeschworen hat, leben auch die Leute in San Sebastián entspannter. Wirft man das Wort „Unabhängigkeit“ in die Runde, kann das schon mal zu einer heftigen Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern münden, doch im Normalfall wird in den Sociedades heute eher genossen als politisiert.

Nach sechsstündigem Mittagessen geht es auf den Abend zu. „Jetzt wissen Sie wohl“, sagt Lourdes, Fernandos Frau, „warum mir das hier so gefällt, nicht in die Küche zu dürfen.“ Da darf heute Abend nur eine hinein: Es ist die lateinamerikanische Putzfrau, die freundlich grüßt, sich Gummihandschuhe überzieht und den riesigen Berg Abwasch macht. (SZ vom 21.11.13)

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