Am tiefsten Punkt des hohen Landes

Der Weg zum tiefsten Punkt der Alpenrepublik führt zunächst an Wahlplakaten vorbei. Sie stehen an der Straße, die aus dem kleinen Ort Apetlon im Burgenland hinausführt. Exponenten der Freiheitlichen Partei Österreichs grinsen mit gebleichten Gebissreihen wie Springteufel von den Plakatwänden. Darunter steht: „Heimat schützen. Grenze dicht. Das Burgenland gehört dir!“ Ja, wem eigentlich? Schön, dass sich da auch die ungarischen Kellner angesprochen fühlen dürfen, die hier in den Hotels professionell ihren Dienst versehen, oder die Erntehelfer aus Rumänien, ohne die der gepriesene burgenländische Rotwein nicht in die Flasche käme. Diese Plakate darf man wohl mit Fug und Recht als tief bezeichnen, „tiaf“, wie der Ostösterreicher sagt, wenn er meint: niveaulos.

Weil es aber diese Doppeldeutigkeit des Wortes gibt, darf der tiefste Punkt des Landes seit einiger Zeit nicht mehr so heißen. Dort, wo es von der Landstraße auf einen Schotterweg abzweigt, steht auf dem grünen Schild: „Zum tiefstgemessenen Punkt Österreichs.“ Irgendwann hatte die Gemeinde Apetlon genug von den tiefen Witzen und tauschte das Schild aus. An einer Bisonherde vorbei geht es immer tiefer hinein in das flache Land, Vorbote der pannonischen Tiefebene. Fasane stolzieren durchs Gras, ein Kiebitz kiebitzt aufgeregt in der Luft herum, der Himmel ist milchig.

Und auf einmal hat man ihn erreicht, den absolut tiefstgemessenen Punkt des an Gipfeln reichen Landes: 114 Meter über dem Meer, verkündet eine Tafel.

Links ein Weinberg, wobei Berg übertrieben wäre, so flach wie die Reben hier stehen. Rechts eine sumpfige Wiese, wenn es nicht so milchig wäre, könnte man den Schneeberg sehen, immerhin mit 2076 Metern der höchste Berg Niederösterreichs. Neben der grünen Tafel liegt auf einer Art Pult ein Buch mit witterungsbeständigen Seiten aus Blech. Es informiert über die Unerhörtheit eines so tiefgelegenen Punkts, zumal zwei Drittel des Landes von den Alpen bedeckt seien. „Der Apetloner Georg Reinprecht und sein Team“, heißt es da, „starteten am 14.08.04 innerhalb von 24 Stunden vom Großglockner (3798m) zum tiefstgemessenen Punkt Österreichs.“ Wow. Noch ganz benommen von derlei Rekordleistungen geht es auf dem Schotterweg zurück, ein Feldhase hoppelt durch die Weinrieden, die Bisons stehen da wie zuvor. Kurz vor Illmitz wieder ein Plakat: Es lädt zum „Almauftrieb“ der Steppenrinder, die hier im Nationalpark Neusiedlersee als Rasenmäher dienen. Almauftrieb am tiefstgemessenen Punkt – dieses Land kann einfach nicht aus seiner Haut.

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