Bei den Kesselflickern

Der Volksmund lässt kein gutes Haar an ihnen: streiten, schimpfen, fluchen wie die Kesselflicker, heißt es. Noch die Oma bediente sich dieser Redewendungen. Doch wo sind eigentlich diese Kesselflicker, die sich scheinbar so laut und derbe auszudrücken pflegen? Lange verschwunden! Die Zeit, in der Töpfe noch repariert oder gar in Handarbeit hergestellt wurden, ist definitiv vorbei. Denkt man.

Bis man ins Dorf Brateiu kommt, gelegen mitten in Rumänien. Am Straßenrand glänzen die Kupferkannen in der Sonne, aufgehängt an einem Holzgestell. Daneben stehen Männer mit langen Bärten und breitkrempigen Hüten sowie Frauen mit Kopftuch und so knallig bunten Röcken, als sei Fasching und sie hätten sich als Zigeunerinnen verkleidet. Doch es ist Herbst und nicht Fasching, ergo: Die müssen echt sein!

Schnell auf die Bremse gestiegen, den Wagen am Straßenrand geparkt. Gleich stehen Oma, Mutter und Baby da, rufen weinerlich etwas von „Domnu” (Herr) und „Baby, Pampers” und halten uns die offenen Handflächen hin. Da hinein kommen einige Bonbons und Fruchtgummis, die wir auf der Reise eigentlich für Kinder mitführen, doch in diesem Fall in der Rocktasche der Alten verschwinden, die mehr fordert. Wir entfernen uns von dieser Familie, die auch kein Kupferzeug anzubieten hat, und gehen 50 Meter weiter auf die andere Straßenseite.

Dort hat sich eine ganze Sippe eingerichtet: Ein Mann ohne Schuhe und mit zerschlissenen Socken sitzt auf der bloßen Erde und dengelt mit dem Hammer einen großen Kupferring. Neben ihm stehen seine in knalliges Rot gehüllte Frau und vier Kinder, von denen erstaunlicherweise drei blond sind und blaue Augen haben. Etwas abseits recht ein Bärtiger mit einer Mistgabel Kupferblechabfälle zusammen. Hinter ihnen brennt ein Lagerfeuer, ein paar Gänse laufen herum.

Der Mann am Boden kann Italienisch, er habe fünf Jahre bei Verona gelebt und gearbeitet. Nun baue er mit dem Geld hier ein Haus und arbeite halt wieder als Kesselmacher, wie es Tradition sei. Die vier Kinder seien seine, sagt er, der Bärtige der Onkel. Man muss wissen: Die Roma haben in Rumänien nicht nur das Monopol auf die Blechblasmusik, sondern auch jenes auf die Blechnerarbeiten an den Dächern. Hat sich historisch so ergeben. Und sie sind eben auch jene, die noch Kessel machen und flicken können, die Letzten in ganz Europa! So gesehen muss man das unterstützen, auch wenn man gerade kein Kupferkännchen braucht.

Nachdem die Fotos geschossen sind wird klar, dass die Sippe sich nicht mit den Fruchtgummis für die Kinder wird abspeisen lassen. Also geht man zum Holzgestell mit den Kupferkannen. Was soll das kleine Kännchen kosten? „Eine Million Lei!”, sagt die rote Frau. Das wären 234 000 Euro. Sie rechnet, scheint es, noch mit der alten Währung. Nun übernimmt der bärtige Onkel den Handel. Er wirkt milde, andererseits auch etwas furchteinflößend. Wir handeln hin und her, da ist das Gefühl, für die Fotos irgendwie bezahlen zu müssen, und der Druck der Sippe. Allerdings kommt der nicht laut, sondern unterschwellig leise daher. Schließlich kriegt er 70 Lei für seine Kanne, ein stolzer Preis. „La revedere”, sie winken uns hinterher. Beim Auto wartet die andere Sippe: „Pampers, Baby!” Sie kriegen noch mal Fruchtgummis. Der Volksmund sollte besser sagen: „Geschäfte machen wie die Kesselflicker”

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