Die Ameise kocht mit

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Ameisen-Ceviche: Ihre Säure gart den Saibling

Und dann ist da die Idee mit dem Fisch und dem Ameisenhaufen. Vielleicht liegt es am Kater vom vorigen Abend, als es nicht nur allerlei Waldtiere zu essen gab, sondern auch jede Menge ausgesuchte Weine und Biere zu trinken. Vielleicht kam die Inspiration auch von der jungen Ausnahmeköchin Milena Broger, die vor zwei Tagen eine im Erdloch gegarte Hirschkeule mit frittierten Ameisen gewürzt hat. Egal.

  Jedenfalls steht nun ein knappes Dutzend Menschen staunend und mit gezückten Fotohandys vor einem Ameisenhaufen im Bergwald oberhalb von Hallstatt. Sie beobachten, wie der Koch Christoph Fink einen filetierten Saibling, der vor zwölf Stunden noch im See geschwommen ist, auf den Ameisenhaufen legt. Es wuselt um ihn und auf ihm – und siehe da, binnen weniger Minuten nimmt das rosafarbene Fischfleisch eine weißliche Färbung an. Fink legt ihn auf ein Holzbrett, kratzt Ameisen und Nadeln mit einem Küchenmesser ab und schneidet das Filet in dünne Scheiben. Er schiebt sich eine in den Mund, seine Gesichtszüge erhellen sich: „Das überrascht mich jetzt, dass das so gut funktioniert hat mit dem Ameisen-Ceviche.“ Was in dem klassischen peruanischen Gericht Limettensäure ist, hat hier die Ameisensäure erledigt: die Denaturierung des Fischeiweißes, ähnlich wie beim Kochen. Nach kurzem Zögern greifen alle zu. Der Saibling schmeckt erstaunlich gut, die feine Säure überlagert den Fischgeschmack nicht.

  Derartige kreative Ein- oder verrückte Ausfälle gibt es während der „Feldküche-Waldwerkstätte“ genug, sie sind Programm. Das mehrtägige Event will kulinarisch und an der Natur interessierte Menschen zusammenbringen. Diesmal ist es angesiedelt auf 1500 Höhenmetern in einem ehemaligen Hüttendorf österreichischer Gebirgsjäger am Nordhang des Dachsteins. Es gibt verschiedene Workshops: Fleisch garen im selbstgebauten Erdlochofen; Detox-Smoothies oder Naturkosmetik herstellen aus Bergkräutern. Der Höhepunkt jedes Tages ist ein vielgängiges, an einer langen Tafel im Freien serviertes Dinner, zubereitet von jungen Spitzenköchen.

Der in Blätter gewickelte Hirsch wird ausgegraben. Kritisch beäugt von Philip Rachinger (knieend)
Der in Blätter gewickelte Hirsch wird ausgegraben. Kritisch beäugt von Philip Rachinger (knieend)

  „Immer mehr Menschen suchen Erholung im Wald, gleichzeitig nimmt das Wissen um die Natur und ihre Zusammenhänge ab“, sagt Pia Buchner. „Da setzen wir mit unserer Waldwerkstätte an.“ Buchner ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Österreichischen Bundesforste, denen 15 Prozent des gesamten Waldes gehören. Die Hälfte davon stehe unter Schutz. Und mit dieser „etwas anderen Form der Naturvermittlung“ wolle man dem Bedürfnis der Leute, aktiv etwas in der Natur zu machen, entgegenkommen. In diesem Sommer konnte man bereits lernen, wie man ein Floß baut, das auch wirklich schwimmt; es gab einen Kurs im Wermut-Herstellen, und es wird im September noch einen Lehrgang geben, wie man ein Craft Beer mit Wald-Zutaten braut; ein Komponist wird mit Teilnehmern Geräusche des Waldes sammeln und dann vertonen.

  Doch in diesen Tagen am Abhang des Dachsteins steht das Kulinarische im Vordergrund. Das liegt an der Kooperation der Bundesforste mit dem Kollektiv „Feldküche“. Das sind drei Kreative aus dem Bregenzerwald und Tirol, die erstens gerne gut essen und zweitens die Idee hatten, dies an außergewöhnlich schönen Plätzen in ganz Österreich, mitten in der Natur, zu tun. Das Equipment, zu dem Herde, Backöfen, Geschirr sowie eine aus 300 Jahre altem Holz im Bregenzerwald gezimmerte Tafel gehören, wird mit großem Aufwand an diese Plätze gebracht. Hier am Dachstein braucht es dafür drei verschiedene Seilbahnen und am Ende noch einen geländefähigen Bergtraktor, der alles zum Hüttendorf bringt.

Gummibärchen aus Lärchennadeln
Gummibärchen aus Lärchennadeln

  „Es ist schon ein großer Aufwand“, sagt Martin Fetz, der Kopf der „Feldküche“. „Es geht auch nur deshalb, weil Freunde und Bekannte von uns, die von der Idee begeistert sind, ehrenamtlich mithelfen.“ Fetz ist ein sympathischer Mittdreißiger mit Vorstufe zum Hipsterbart, dessen Augen zu glänzen beginnen, wenn er von guten Köchen und Produzenten spricht, die hervorragende Lebensmittel herstellen. Er hat sich mittlerweile ein österreichweites Netz aufgebaut, denn bei den „Feldküche“-Events geht es immer darum, dass die Zutaten aus der nahen Umgebung kommen. Die Kooperation mit den Bundesforsten sei da ideal. Die haben viele schöne Plätze in der Natur und liefern die Zutaten für das Essen: „Wenn unsere Köche ein Mufflon brauchen, dann schießen uns die Jäger eines“, sagt Fetz. Natürlich wird das ganze Tier verkocht. Viele der rund 50 zahlenden Teilnehmer gehören zu jenen Großstadtmenschen, die im Biomarkt einkaufen und sich Gedanken über das frühere Leben ihres Schnitzels machen.

  Bei der „Feldküche“ soll es deshalb nicht nur ums feine Essen gehen, sondern auch um den Austausch der Teilnehmer untereinander, die ja zufällig neben irgendwem an der langen, diesmal mit hübschen Bergblumen dekorierten Tafel zu sitzen kommen. Interessante, neugierige Menschen zusammenbringen, Designer und Köche, DJs und Komponisten, und das eben nicht in der Großstadt, sondern in der sonst oft als wenig innovativ verschrienen Provinz – mit diesem Konzept lassen sich trotz eher symbolischer Honorare auch Köche wie Philip Rachinger anlocken, 28 Jahre alt und einer der talentiertesten Chefs ganz Österreichs, der an diesem Augustabend für die „Feldküche“ kocht. Er wirkt angespannt, als er im Freien hoch konzentriert an Holzkohlegrill und Gasherd hantiert, Anweisungen an sein Team gibt: „Und dann gleich zum Gast!“, befiehlt er, nachdem er eine Renke aus der eigenen Fischerei der Bundesforste am Hallstättersee mit gegrillten Auberginen, selbst gemachtem Mohnsenf und Taubenkropfblüten arrangiert hat, übrigens auf bemalten Tellern, die aus den Beständen von Fetz’ Großmutter stammen.

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  Die Gäste sitzen auf Schafffellen an der langen Tafel, sie bekommen jeden Gang kurz von Rachinger erklärt und quittieren das voller Vorfreude mit Applaus. Es gibt auf heißem Zedernholz gegarten Saibling mit Holunderkapern, ein sogenanntes Signature-Gericht aus Rachingers mit drei Hauben prämiertem Gourmetrestaurant Mühltalhof. Am Grill auf den Punkt gegartes Rehfilet mit gerösteten Mandeln und Wachauer Marillen ist „schwerstlecker“, wie es der zufällig neben einem sitzende Erdlochofen-Kursleiter sehr treffend ausdrückt. Und dann legt Rachinger etwas auf den Grill, das irgendwie nach kleinen Hühnchen aussieht. Auf die Frage, was das jetzt sei, sagt der Sitznachbar trocken: „Rabenkrähe“. Natürlich ein Scherz, denkt man, aber nur solange, bis der Rabe zunächst als filetierte Brust, dann, nicht mehr zu verleugnen, als konfiertes schwarzes „Haxerl“ auf den Teller kommt. Nichts für Vogelfreunde oder Vegetarier, muss man ehrlich sagen; wobei die Tischnachbarin vis-à-vis doch glatt behauptet, sie sei Vegetarierin, aber für diesen Abend habe sie sich eine Auszeit gegönnt – sprachs und knurpst an dem mageren Krähenschenkel.

  16 legal gejagte junge Krähen haben die Jäger der Bundesforste dem Koch gebracht, allein das Rupfen habe drei Stunden gedauert, sagt der. Es schmeckt ein wenig nach Taube, nur etwas maskuliner. Verbreiteter Kommentar an der Tafel: Die Brust war etwas zäh, das Haxerl hingegen hervorragend. Nun ja, muss man jetzt nicht jeden Tag essen. Die Crème brûlée hingegen, mit Wiesenblumen und Steinpilzen (!) – jederzeit! Ein bisschen Provokation, etwas Herausforderung für Gaumen und Denke gehört aber zu jedem Feldküche-Dinner, sonst könnte man ja gleich ins Gourmetrestaurant gehen.

  Nach dem Essen wird ein Lagerfeuer entfacht, in das es leider hineinregnet. Die Atmosphäre ist freundschaftlich, ein bisschen wie auf der Schülerfreizeit, nur mit interessanteren Gesprächspartnern. So erfährt man, dass der Koch Christoph Fink, der die Ameisen für sich arbeiten lässt, eigentlich ausgebildeter Bassposaunist ist und als solcher auch zehn Jahre lang gewirkt hat. Aus seinem Hobby Kochen hat er dann aber den Beruf gemacht. Jetzt ist er Chefkoch in der Schwedischen Botschaft in Wien: „Ich überlege jetzt, ob ich mir einen Ameisenhaufen im Botschaftsgarten anlege – muss aber erst mal fragen, ob das erlaubt ist.“

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