Großes Gewimmel im Alentejo

In der portugiesischen Region Alentejo gibt es die größte Artenvielfalt Europas. Das liegt auch an der naturverträglichen Landwirtschaft

Paula hat eine Mission. Gerade streift sie durch ein grünes Flusstälchen, unter riesigen Oleandern und mit Flechten überzogenen Steineichen hindurch. Man hört Nachtigallen flöten, das Wasser plätschert. Wie ein fasziniertes Kind, das alles zum ersten Mal sieht, zeigt sie hierhin und dorthin: „Dieser Lavendel ist stark gefährdet und hier wächst er überall, schau! Da vorne sind Fuchshöhlen, ich habe die Jungen erst gestern gesehen. Und die Luft, atme mal diese Luft ein!“ Sagt es, schließt die Augen und nimmt einen tiefen Atemzug.P1200950

  Paula Conduto Mira ist eine Frau in den Fünfzigern und eigentlich Architektin. Doch ihr neuestes Lieblingsprojekt ist das Landgut ihrer Familie, die Herdade Monte da Ponte. Das sind 440 Hektar sanft gewelltes Weideland mit Seen und Bächen, pittoresk überzogen von weit auseinanderstehenden, uralten Steineichen. Montado heißt diese an die Savanne erinnernde Kulturlandschaft, sie prägt seit vielen Jahrhunderten das Landschaftsbild im südlichen Alentejo. „Ich habe zu meinem Vater gesagt: Wir können das nicht nur für uns behalten, wir müssen dieses Naturerbe den Menschen zeigen.“ Deshalb hat sie auf einer Anhöhe einen kleinen, schicken „Agroturismo“ hingebaut, natürlich selbst entworfen mit sechs Zimmern, einer Ferienwohnung und einem Pool. Xistos hat sie es genannt, nach dem Schiefergestein, das hier dominiert.

  Was den Montado so besonders macht: Mit seinen Eichen und der extensiven Landwirtschaft hat er eine enorm hohe Artenvielfalt. Auf den jetzt im Frühjahr in allen Farben blühenden Wiesen weiden Kühe, Schafe oder die berühmten schwarzen Schweine, die später in Spanien zu teurem Schinken gemacht werden. Im Herbst fressen die Tiere die Eicheln der Stein- und Korkeichen und setzen dadurch ein besonders schmackhaftes Fett an. Gedüngt oder bewässert wird im Montado kaum, und so gibt es viele Blüten und Kräuter, die jede Menge Insekten anlocken, die ihrerseits wiederum eine extrem hohe Vogelvielfalt begünstigen.

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  „Für diesen Naturschatz will ich die Menschen sensibilisieren, besonders jene aus Lissabon, die das ganze Jahr über zwischen Beton und Ziegeln eingesperrt sind“, sagt Paula Mira. Sie hat sich eine Puppe in ländlicher Tracht und ein Schaf dazu machen lassen. Mit den beiden will sie nun durch Grundschulen ziehen und die Kinder einladen, einen Tag bei ihr draußen zu verbringen. Auch mit ihren anderen Gästen unternimmt sie Wanderungen über ihren riesigen Besitz, jetzt im Frühjahr tagsüber, im Sommer vor allem nach Sonnenuntergang, weil es sonst viel zu heiß ist. Aus der Not macht man eine Tugend: Der Himmel ist hier besonders dunkel, weshalb man sich seit Kurzem auch als Sternenguckerregion vermarktet.

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  Der Alentejo, der im Süden an die viel besuchte Algarve grenzt, ist flächenmäßig die größte Region Portugals, sie nimmt ein Drittel des Landes ein. Gleichzeitig ist sie die am dünnsten besiedelte. Wer jetzt im Frühling durch diese Landschaft fährt, fühlt sich an Märchenbücher erinnert: Auf jedem zweiten Mast an der Straße steht ein Storch auf seinem Nest, die Kronen der Eichen hängen wie grüne Wolken über dem blühenden Land mit seinen Tierherden; auf den höchsten Kuppen stehen weiße, von Mauern und Burgen bewachte Dörfer wie Évora, Monsaraz oder Mértola. In ihnen haben Römer, Mauren und Christen deutliche Spuren hinterlassen. Évora gehört mit seinem römischen Tempel und der romanisch-gotischen Kathedrale zum Weltkulturerbe, Mértola liegt wie eine arabische Medina über dem Fluss Guadiana. Der dortigen Kirche ist die Moschee, die sie einmal war, noch gut anzusehen.

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  Die Gäste, die zurzeit durch die Region reisen, nehmen solche Sehenswürdigkeiten allenfalls en passant mit. Sie haben es auf etwas anderes abgesehen, schleppen Fernrohre und Stative und tragen Tarnfarben: Vogelbeobachter. Diese Art des Tourismus ist seit einigen Jahren im Alentejo im Kommen, eben weil hier eine der intaktesten Vogelwelten ganz Europas zu finden ist. Nicht nur auf den riesigen Montado-Flächen, sondern auch in der sogenannten Getreidesteppe rund um den Ort Castro Verde finden Vögel und Vogelbeobachter ihr irdisches Paradies.

  Dort betreut LPN, die älteste portugiesische Naturschutzorganisation, ein 850 Quadratkilometer großes fast baumloses Gebiet, das aus Weizenfeldern und Wiesen besteht. „Wir versuchen hier, Landwirtschaft und Natur in Einklang zu bringen, und es gelingt uns ganz gut“, sagt Rita Alcazar, Leiterin des LPN-Informationszentrums bei Castro Verde. In Zusammenarbeit mit vielen Bauern und mit Förderung der EU, erklärt sie, werde auf so verträgliche Art Getreide angebaut, dass viele europaweit gefährdete Arten hier brüten. „Birdwatcher“ können rund um Castro Verde sehr leicht Großtrappen sehen, die mit bis zu 16 Kilogramm schwersten flugfähigen Vögel der Welt. 1300 Exemplare leben hier und sogar 6000 Kleintrappen. Verschiedenste Lerchenarten, die in Deutschland vielerorts verschwunden sind, Blauracken und seltene Greifvögel wie Wiesenweihen, Spanische Kaiseradler und Rötelfalken brüten in dem Natura-2000-Schutzgebiet. „Wir haben allerdings auch ein Problem“, sagt Rita Alcazar, „und das ist die Trockenheit.“ Durch den Klimawandel habe es in den vergangenen drei Jahren extrem heiße Perioden gegeben, sodass eine Verwüstung drohe. Viele Großtrappen sind verdurstet, das Getreide verdorrte binnen kurzer Zeit. „Wir müssen da schnell handeln, zum Beispiel mit Regenwasserspeichern.“

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  Geregnet hat es in diesem Frühjahr – nach drei extrem trockenen Jahren – so viel wie seit Jahrzehnten nicht. Deshalb ist alles so grün und blütenreich, was Paolo Silva von Berufs wegen sehr freut. Er ist Imker am Rand des Naturparks Guadianatal und Vorsitzender des Imkerverbandes von Mértola. „Bis jetzt ist es ein sehr gutes Jahr“, sagt er, „das haben wir auch dringend nötig.“ Im vergangenen Jahr habe er wegen der Trockenheit nur die Hälfte der sonstigen Honigmenge ernten können. Silva, ein kräftiger Mann Anfang 40, steht in seinem weißen Schutzanzug mit Moskitonetz unter dem breitkrempigen Hut auf einer Anhöhe, wo er seine Bienenstöcke kontrolliert. „Die iberische Biene ist sehr aggressiv, macht aber auch viel Honig“, sagt er. Rund um die Bienenstöcke blühen Büsche der weißen Zistrose und riesiger, wilder Lavendel. Genau solch nektarreiche Blüten bräuchten die Bienen, erklärt Silva. Deshalb sei es umso schlimmer, dass die EU den Bauern Geld dafür gebe, wenn sie die Büsche am Rand ihrer Felder entfernten. „Wir haben aber Glück: Nur weil ein großer Teil der Böden des Alentejo sehr wenig Humus und viele Steine hat, gibt es dieses artenreiche Ökosystem hier noch“, sagt Silva, der seinen Honig nach Biorichtlinien erzeugt. Dort, wo die Äcker besser seien, in der Gegend um Beja, würden teils spanische Investoren große Oliven- oder Mandelplantagen mit massivem Spritzmitteleinsatz anlegen. „Da ist es aus mit der Biodiversität“, so Silva.

  Im Großen und Ganzen ist die einzigartige Kulturlandschaft des Montado aber nicht im Gefahr. Die alten Bäume stehen unter Schutz und die Korkwirtschaft ist rentabel, weshalb immer wieder neue Haine gepflanzt werden. Nicht nur die Regierung, sondern auch immer mehr Großbauern haben erkannt, welches touristische Potenzial in dieser bisher wenig besuchten Landschaft liegt. Paula Mira gehört dazu und auch Jorge Bobone. Der bewirtschaftet seine 800 Hektar große Farm Monte da Apariça in der Nähe von Castro Verde so, dass sie bei uns als Naturschutzgebiet ersten Ranges durchgehen würde. Zwar weiden hier 400 Rinder, von deren Fleisch Bobone lebt. Doch er hängt jede Menge Nistkästen auf, hat einen großen See zur Bewässerung und lässt in manchen Bereichen Getreide säen, das nur die Trappen und andere Vögel fressen dürfen. Auch Unterstände zur Vogelbeobachtung hat er eingerichtet. „Biologen haben auf meinem Grund 170 Vogelarten gezählt“, sagt er stolz, während er mit dem Jeep über das weitläufige Areal fährt, das Fernglas immer griffbereit. Gerade baut er seine Ferienapartments größer und schöner aus. „Es wäre doch zu schade“, sagt er, „das hier nur als reine Landwirtschaft zu nutzen.“

Dieser Text in der Süddeutschen Zeitung, HIER.

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