Müssen draußen bleiben …

Als Hubert Fritzenwallner nach seinem Antritt als Hüttenwirt des Friesenberghauses im Küchenkastl die Nazi-Hangerl fand, da staunte er nicht schlecht. Da lag ein ganzer Stapel blütenweißer Geschirrtücher, frisch gebügelt, und in jedes war ein schwarzes Hakenkreuz eingestickt. Das war nicht 1946, sondern 1996.

„Die Aufarbeitung der Geschichte hat hier so richtig erst nach dem Umbau im Jahr 2003 begonnen“, sagt der weißbärtige Hüttenwirt. Vorher habe sich dafür kaum einer interessiert. „Die Hangerl hab ich alle gleich entsorgt.“ Fritzenwallner sitzt am Personaltisch in der großen Küche des Friesenberghauses. Auf einem Tablett liegen Rauchquarze und Bergkristalle, die er selbst aus den Schrunden des Zillertaler Hauptkammes geklopft hat; in einer Ecke stehen Packungen mit Salbe aus Murmeltierfett, die er an seine Gäste verkauft. Kristalle sammeln, Murmeltiersalbe verkaufen, das bewegt sich noch im Rahmen der üblichen Tätigkeiten eines Hüttenwirts. Aber Geschichte aufarbeiten? Für Fritzenwallner gehört das dazu, denn seine Hütte, auf 2500 Meter im hintersten Zillertal gelegen, steht wie keine andere für ein sehr schwarzes, respektive braunes Kapitel der Geschichte des deutschen und österreichischen Alpenvereins.

Das wuchtige Steinhaus, von dessen Terrasse aus man einen beeindruckenden Blick auf die vergletscherten Gipfel von Hochfeiler, Großem Möseler und Schwarzenstein hat, wurde von 1928 bis 1931 errichtet. Sein Bau wurde notwendig, weil jüdischen Bergsteiger auf vielen anderen Hütten in Tirol der Eintritt verwehrt wurde. Im Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DuÖAV), herrschte schon in den 1920er-Jahren eine starke antisemitische Stimmung. Besonders hervor tat sich die Wiener Sektion Austria, die 1921 einen „Arierparagrafen“ einführte, also jüdische Bergsteiger ausschloss. Aus Protest gründeten diese die Sektion Donauland, die auf Betreiben der Rechtsradikalen 1924 aus dem DuÖAV ausgeschlossen wurde.

In einer Stube des Friesenberghauses hängen ringsum an der Zirbenholztäfelung die mit Schreibmaschine getippten Dokumente des erbitterten Streites innerhalb des Alpenvereins: „Die Reinigung der Sektion Austria wird anfeuernd auf noch verjudete Sektionen wirken“, schrieben die Antisemiten, und: „Der Sieg des deutscharischen Gedankens ist von großer Wichtigkeit.“ Dem stellte sich etwa der Vorsitzende der Sektion Mainz entgegen: „Gerade im Gebirge sollte aller Zwist des sonstigen Lebens ferne sein, sollte der Mensch den Menschen finden und nur der rein menschliche Standpunkt gelten.“ Schließlich gewannen die Antisemiten. Donauland wurde ausgeschlossen.

Wer im Friesenberghaus einkehrt, entkommt der Geschichte nicht, seit der Deutsche Alpenverein (DAV) 2003 die Hütte zu einer „Begegnungsstätte gegen Hass und Intoleranz“ ernannt hat. Auf den Holztischen liegen neben der Maggiwürze Informationszettel zur unrühmlichen Vergangenheit, auch eine Gedenktafel drinnen und ein Gedenkstein vor der Hütte mahnen heutige Bergsteiger. In die Lehnen mancher Holzstühle in der Stube sind die Namen jener Sektionen und Personen eingebrannt, die sich damals offen gegen den Ausschluss der Sektion Donauland aus dem Alpenverein starkgemacht hatten. In Berlin wurde zur selben Zeit der Deutsche Alpenverein Berlin gegründet, von Bergsteigern, die Abscheu empfanden vor dem Rassismus im DuÖAV. Der Deutsche Alpenverein Berlin war denn auch zusammen mit Donauland federführend am Bau des Friesenberghauses beteiligt.

Doch die Freude an der schönen, modernen Hütte währte nur kurz. 1931 wurde das Haus eröffnet, 1934 verboten die Nazis den Berliner Verein und beschlagnahmten 1938 das Friesenberghaus. Während des Krieges diente es als Ausbildungszentrum der Wehrmacht. Nach 1945 wurde die Berghütte, in der einst jedes Zimmer fließend Kalt- und Warmwasser hatte, geplündert und erst 1968 der DAV-Sektion Berlin übertragen.

Erhalten blieb die originale Zirbenholztäfelung in den Stuben und den relativ vielen kleinen Zimmern, die damals anstatt eines großen Lagers gebaut wurden. Die Städter aus Wien und Berlin wollten, ähnlich wie heute auch, schon in den 1930er-Jahren auf einen gewissen Komfort nicht verzichten. Man sieht noch die Anschlüsse für die Waschbecken in den Zimmern, aus hygienischen Gründen wurde aber beim Umbau 2003 ein neuer, zentraler Sanitärbereich errichtet. Aus den schönsten Holzkammern hat man einen erhabenen Blick auf die Dreitausender. Die Türen sind weiß gestrichen, mit lindgrünen Nummern darauf, man wähnt sich auf dem Flur eher in einem Alpenhotel als in einer Berghütte.

Der Weg, der vom Schlegeisstausee zum Friesenberghaus führt, ist mit großen, hier überall herumliegenden Granitplatten ausgelegt und nie steil. Er führt über Almen und wilde Bäche gemächlich höher, der Blick zurück geht immer auf den türkisfarbenen See und die Gletscher dahinter. „Ihr müsst unbedingt auf das Petersköpfl gehen“, rät der Wirt seinen Gästen, „die vielen Steinmänner da oben, so etwas findet man sonst nur in Tibet, das ist ein Kraftplatz.“ In der Tat sind die vielen hundert von Wanderern aufgeschichteten Steingebilde auf dem flachen Gipfel eindrucksvoll, auch wenn man nicht esoterisch bewandert ist. Fritzenwallner, der auch Mentaltrainings-Seminare anbietet, sagt, der Platz sei schon in Landkarten eingezeichnet, die älter als die Hütte sind.

Vielleicht ist einer der Steinmänner am Petersköpfl auch von den Halsmanns errichtet worden. Die beiden Juden aus Riga haben im Sommer 1928, als der Grundstein zum Friesenberghaus gelegt wurde, im Zillertal ausgedehnte Wanderungen unternommen. An einem Septembertag geschah dann ein Verbrechen, das international Aufsehen erregen sollte. Philipp Halsmann, der Sohn, fand seinen Vater Morduch tot am Ufer des Zamser Baches. Was zunächst wie ein Unfall aussah, entpuppte sich als Mord, der Mann war erschlagen worden. Der Sohn galt sofort als Hauptverdächtiger, obwohl er jede Schuld von sich wies, andere Spuren wurden nicht verfolgt, und am Ende wurde Philipp Halsmann in einem Indizienprozess zu zehn Jahren Kerker verurteilt. Der Autor Martin Pollack hat diese Geschichte in seinem Buch „Anklage Vatermord“ spannend und detailliert dokumentiert und aufgezeigt, welch starke antisemitische Stimmung im katholischen Tirol in den zwanziger Jahren geherrscht hat. An manchen Berghütten seien Hakenkreuze angebracht gewesen und Schilder mit der Aufschrift: „Juden und Mitgliedern der Sektion Donauland ist der Zutritt verboten.“

Im vergangenen Sommer, erzählt der Wirt, seien „acht von der neuen Generation“ heroben gewesen. Er habe es zu spät gemerkt, Glatzköpfe gebe es ja viele heutzutage. Abends in der Hütte hätte sich einer die Gitarre gegriffen, und sie hätten Liedgut gesungen, „das grad so an der Grenze war“. Die jungen Männer hätten sich noch „angemessen betragen“, niemanden angepöbelt. „Du kannst als Wirt um halb zehn abends niemanden rausschmeißen“, sagt Fritzenwallner. Am nächsten Tag sind die Glatzen auf dem Berliner Höhenweg gewandert. Einer marschierte mit einer schwarz-weiß-roten Fahne voran.

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