Beim Speckkäfer

„Der Tod, das muss ein Wiener sein“, sang Georg Kreisler, und in der Tat: In kaum einer anderen Stadt hat man es besser verstanden, mit dem Morbiden augenzwinkernd gute Geschäfte zu machen. Ob das der berühmte Zentralfriedhof ist oder die Kapuzinergruft, in der die Habsburger ruhen. Oder die Sargfabrik, wo nun sogar die Wiener Festwochen Theater machen.

  Weil man aber mitten im lebenszugewandten Juni keine Lust aufs Sinnieren in der Gruft hat, entschließt man sich für eine Dachführung im Naturhistorischen Museum an der Ringstraße. Letztere feiert diesen Sommer ihr 150-jähriges Bestehen. Von dort oben, so hieß es im Prospekt, könne man die Prachtstraße mit Hofburg, Burgtheater und Parlament hervorragend sehen. Der Himmel ist blau, die Luft ist warm, also nichts wie aufs Dach!

  Der Dachführer, der die Gruppe in der Eingangshalle des Museums begrüßt, hat ein Gesicht wie der Schauspieler Harvey Keitel. Über breite Marmortreppen steigen wir in dem palastartigen Gebäude immer höher, vorbei an Vitrinen, in denen etwa ausgestopfte Halsbandsittiche sitzen, unter ihnen ein Kärtchen mit der Aufschrift: „Indien 1893, erlegt von Erzherzog Franz Ferdinand“. Klar, das hätte man sich denken können: dass dieses Museum eines der größten Tiermausoleen der Welt ist. 30 Millionen Objekte, erzählt der Dachführer, gebe es hier. Allein 500 000 in Alkohol konservierte Fische! 200 000 Kriechtiere! 10 000 ausgestopfte Vögel! Dazu Elefanten, Bären, Tiger, Löwen. Viele so gut ausgestopft, dass man meint: Gleich springt er dich an. Zurzeit läuft eine Sonderausstellung zur Präparation. Darin gibt es einen Glaskasten, in dem ein halb verwestes Tier von Hunderten Käfern überkrabbelt wird. Das sei der Speckkäfer, steht auf einem Schild, seit 35 Jahren hier im Museum gezüchtet, um die Knochen freizuknabbern.

  Um aufs Dach zu kommen, muss man durch die normalerweise Besuchern nicht zugängliche Abteilung „Anthropologische Archäologie“ gehen. Da geht es vorbei an einer sicher 50 Meter langen und vier Meter hohen Vitrine, in der menschliche Totenschädel aufbewahrt werden. Wozu? Der Dachführer erklärt, man habe das früher für die Forschung angelegt, natürlich hätten hier auch die Nazis ihr rassistisches Unwesen getrieben. Was er nicht sagt: Bis 1996 gab es im Museum noch einen „Rassensaal“. An dessen Beginn wurde ein „primitiver“ Tasmanierschädel, am Ende ein „nordider“ Kopf eines Schweden samt Foto eines blonden Skandinaviers präsentiert. Nach mehreren Zeitungsartikeln und einer parlamentarischen Anfrage der Grünen wurde die Schädelschau geschlossen.

  Endlich steigen wir durch ein Fenster auf das riesige Museumsdach, von dem die Steinplastiken großer, lange toter Naturforscher über die Stadt schauen. Hofburg, Burgtheater, Heldenplatz, der Blick ist prächtig, der Himmel immer noch blau, die Luft warm. Aber irgendwie läuft einem ein kühler Schauer über den Rücken. Seltsam, sehr seltsam.

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