Neuland am Berg

Die alte Dame ist konsterniert. Zwölf Euro Eintritt hat sie gezahlt, und nun das: „So ein Graffl, das aufgeräumt gehört, also bitte! Ich hätt’ mir schon mehr so künstlerisches Zeug erwartet, ein paar Bilder zumindest.“ Das „Graffl“ ist das Ergebnis einer Performance zur Eröffnung der Kunsthalle Arlberg 1800. Zerbrochene Holzlatten, Papier und Glassplitter auf einem Haufen. Das Video dazu kann man sich auf einem Bildschirm ansehen: Ein schwarz gekleideter Schauspieler sitzt auf einem Hochstuhl und spricht zum Publikum: „Ich bin ein sinnloses Kunstwerk. Meinesgleichen gibt es viele.“ Die Performance mündet dann in eine deftige Publikumsbeschimpfung („Wichser, Kunstbanausen“), an deren Ende der Schauspieler seinen Hochstuhl und ein dahinter hängendes Bild zertrümmert.

Kunsthalle mit "Corinna" v. M. Schindwald
Kunsthalle mit „Corinna“ von M. Schindwald
Hotelier Florian Werner
Hotelier Florian Werner

  „Ich wünsche der Familie Werner viel Glück“, sagt die stark geschminkte Dame, die ihren Winterurlaub schon so lange in St. Christoph am Arlberg verbringt, „dass man davon einen Picasso hier hereinhängen könnte“. Viel Glück, das klingt in diesem Fall wie: Seid ihr deppert, hier, in einem mondänen Skiort auf knapp 1800 Metern Meereshöhe eine 600 Quadratmeter große und acht Meter hohe Kunsthalle in den Berg unter euer Fünf-Sterne-Hotel zu betonieren und dann vorwiegend seltsame Installationen zu zeigen?

  Auf den ersten Blick mutet es tatsächlich so an. Draußen surren die Skilifte, die die Gäste Richtung Galzig und weiter zur Schindlerspitze hinaufbringen, damit sie in fantastischem Skigelände ihre Schwünge ziehen können. Die wenigen, allerdings ziemlich großen Häuser des 20-Einwohner-Ortes St. Christoph sind fast alle Hotels. Das größte davon ist das Arlberg Hospiz, ein altrosa Bau aus den frühen Sechzigerjahren, innen weinrote Teppiche, viel dunkles Holz, ein riesiger offener Kamin und gehobene Tiroler Gemütlichkeit. An ein solches Hotel ein modernes Kunst- und Kulturzentrum anzubauen, mit Sichtbeton und rein künstlicher Beleuchtung, dazu noch einen High-End-Konzertsaal mit 200 Plätzen und Steinway-Flügel, das ist ein bisschen so, als würde man in das Zentrum Berlins eine große Almhütte stellen.

St. Christoph am Arlberg
St. Christoph am Arlberg
Von Fendrich bis Beethoven: Der Konzertsaal
Von Fendrich bis Beethoven: Der Konzertsaal

  

Florian Werner ist solche Anfechtungen gewohnt. „Viele Leute haben den Kopf geschüttelt, inklusive meines Vaters“, sagt der Wirt des Hotels Arlberg Hospiz. Er ist ein schmächtiger Mann mit feinen Gesichtszügen, den man eher für einen Pianisten halten könnte. „Aber meine Überzeugung war größer als meine Angst. Ich wusste, dass es funktionieren wird.“ Werner hat zwei stressige, aufreibende Jahre hinter sich, das 26-Millionen-Euro-Projekt drohte mehrmals an der Finanzierung zu scheitern. Im Herbst war Eröffnung. „Seitdem habe ich schon 60 Konzerte gehört, bald hab’ ich einen Kulturschock“, scherzt Werner. Und jetzt muss er schon wieder auf die Bühne des Konzertsaals, Gäste begrüßen und das Konzert ansagen. Beginn ist meist um 18.30 Uhr, und es dauert maximal eine Stunde. „Pre-Dinner-Konzerte“ nennt Werner das, damit die Gäste noch rechtzeitig zu ihrem vielgängigen Galamenü im Hotel kommen. Heute spielen drei Studenten der Meisterklasse von Taihang Du, eines Professors, der an der zentralen Musikhochschule in Peking lehrt und den Werner mitsamt sechs seiner Studenten eingeladen hat. Eine Woche lang gibt der Meister hier Einzelunterricht, bei dem die Gäste auch ein- und ausgehen dürfen, an drei Abenden spielen sie Konzerte – das Ganze gegen Kost und Logis.

  Der Saal ist halb gefüllt, unter anderem mit einer Gesellschaft, die im Hotel den schon etwas höheren Geburtstag eines deutschen Professors feiert. Werner begrüßt die Festgesellschaft, erklärt kurz, wie es zu dem Kulturprojekt kam, erwähnt, dass die Musikstudenten von der- selben Hochschule kommen, auf der auch Lang Lang studiert hat, und scherzt dann: „Das ist unsere neue Definition von Après-Ski.“ Gelächter, das Konzert beginnt. Debussy, Liszt, Beethoven, die sehr jungen Musikerinnen und Musiker spielen engagiert, die Akustik in dem Saal ist hervorragend, das betont auch der Meister Taihang Du nach dem Konzert. „Man hört die Feinheiten, das ist nicht immer so“, sagt der Professor, der selbst länger als Pianist durch Europa getourt ist. „Das ist sehr großzügig von Herrn Werner, uns einzuladen. Ein so ambitioniertes Projekt muss man unterstützen, ja befeuern! Und die Luft ist hier oben natürlich viel besser als in Peking.“

  Nun ist Werner aber kein selbstloser Kunstmäzen, und schon gar nicht der blauäugige Schöngeist vom Arlberg, als der er manchmal verspottet wird. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Kunst oder Kunstgeschichte zu studieren, nie“, sagt er. „Ich wollte immer Hotelier werden.“ Zur Kunst sei er eher zufällig gekommen: Als er 2006 ein originelles Geburtstagsgeschenk für seine Schwester gesucht hat, habe er beschlossen, eines zu malen. „Da habe ich Blut geleckt.“ Es folgten Kurse bei Hermann Nitsch und Markus Lüpertz, die Gründung von zwei Galerien, Artists-in-Residence-Programme für Künstler in seinem Hotel, und schließlich war da der Wunsch, ein Museum zu gründen, „irgendwann, wenn ich siebzig bin“. Dass es dann bereits mit Ende vierzig dazu kam, dahinter steckt eine Idee, die deutlich über die Kunst hinausgeht.

  „Von vier Monaten Wintertourismus kann ich in Zukunft nicht mehr leben“, sagt Werner. Die Gäste bleiben immer kürzer, und wenn das Wetter schlecht ist, buchen sie kurzfristig um zum Golfspielen auf Mallorca. „Deshalb brauchte ich eine Innovation, eine Entwicklungsmöglichkeit.“ Letztere steht auf der weitgehend unterirdisch in den Berg gebauten Kunsthalle: Es sind zwei vierstöckige Gebäude mit insgesamt 17 Luxusapartments. Diese hat er an reiche Menschen aus ganz Europa verkauft, zu Preisen, die teils über jenen in Innenstadtlagen von München oder Wien liegen. „Damit konnte ich die Kunsthalle finanzieren, ein Nullsummenspiel“, sagt Werner. Ob das nun stimmt, oder ob er auch noch etwas verdienen konnte mit dem Immobilienprojekt – entscheidender ist etwas anderes: Die Räume der Kunsthalle sind so ausgestattet, dass sie in Nullkommanichts für Kongresse, Firmen-Events und Unternehmenspräsentationen umgebaut werden können. Die Kunstwerke der zwei jährlich geplanten Ausstellungen bleiben einfach stehen oder werden ein bisschen zur Seite gerückt. „Hätte ich eine Mehrzweckhalle gebaut, wäre es für Kunst und Künstler unattraktiv gewesen“, sagt der Hotelier, „aber eine Kunsthalle ist auch für Firmen und Kongresse sehr attraktiv.“ Die zusätzlichen 130 Betten in den Apartments kann der Hotelier etwa an Kongressteilnehmer weitervermieten, wenn die Eigentümer nicht da sind. Ohne diese Klausel hätte er nicht bauen dürfen, da die Gemeinde sogenannte kalte Betten in leer stehenden Zweitwohnungen vermeiden will. Die Nachfrage sei bereits sehr gut. Softwarefirmen, Autohersteller, Versicherungen, „die wären früher nicht gekommen, da wir ihnen nur das Restaurant anbieten konnten“. Werner zeigt stolz einen überdimensionalen Aufzug, mit dem man nicht nur sperrige Kunstwerke, sondern auch mal einen Porsche oder Daimler aus der Garage in die Kunsthalle hochfahren kann.

  Die Kunst soll nicht nur schmückendes Beiwerk sein, beteuert Werner. Er plant 150 Konzerte, Lesungen und Kabarettshows in der ersten Saison, ein ambitioniertes Programm, das von Art Garfunkel über Poetry Slams bis Rainhard Fendrich reicht, dessen Konzert schnell ausverkauft war, obwohl die billigste Karte 150 Euro kostete. „Für mich ist das erste Jahr auch ein Lernen und Ausprobieren“, sagt Werner. Das Programm macht er nicht selbst, er hat für jede Sparte eigene Leute, die Kunsthalle wird von einer Wiener Agentur bespielt. „Mein Gast versteht diese Installationen nicht, aber die Fachwelt“, sagt Werner. Man habe für die erste Ausstellung ein Statement setzen wollen. „Langfristig müssen wir einen Mittelweg finden, wir können nicht nur Installationen bringen.“

  Die Poetry-Slammerin Mieze Medusa aus Wien müht sich am Abend redlich, das Publikum für sich zu gewinnen. Sie liest aus ihrem Buch „Meine Fußpflegerin stellt Fragen an das Universum“. Dann beginnt sie ihre Gedichte im Rapstil vorzutragen. So richtige Slamstimmung kommt zwischen Eichenholztäfelung und Steinway-Flügel nicht auf. Egal. Nach der Vorstellung sagt eine Frau aus dem Nachbarort Langen: „Ist das nicht toll? Ich wohne in dieser schönen Landschaft, und jetzt habe ich auch noch ein super Kulturprogramm.“

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