Der Fels ist mein Freund

Ob das eine gute Idee war? Beim ersten Griff an das Drahtseil, eigentlich der Freund jedes Klettersteig-Gehers, kleben die Finger am Stahlkabel. Kein Wunder, es hat elf Grad minus. Und Wind. Gut, man könnte natürlich die Handschuhe anziehen. Aber damit hat man wenig Gefühl beim Klettern, beim Festhalten am Fels. Und der Fels ist nur halb so kalt wie das Drahtseil. Was immer noch kalt ist, sich aber im Vergleich geradezu angenehm anfühlt. Der Fels ist mein Freund.

Kalt aber schön: Der Grat
Kalt aber schön: Der Grat
Klettern mit Skischuhen braucht etwas Übung
Klettern mit Skischuhen braucht etwas Übung

Seltsame Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich Frank Widmann hinterherklettere, auf dem Arlberger Winterklettersteig. Die geschäftstüchtigen Manager der Arlberger Bergbahnen dachten wohl, es reiche nicht, wenn sie ihrer jungen Klientel drei Dutzend Lifte, Hunderte Pistenkilometer und unzählige Freeride-Abfahrten im freien Gelände anbieten. Der ultimative Kick musste her. Klettersteig im Winter. Frank Widmann führt solcherart Besessene diesen Grat entlang. Und er sagt: „Es gibt Schlimmeres, was man an einem kalten, sonnigen Wintertag machen kann.“ Er meint damit nicht nur den Klettersteig, sondern vor allem die 1500 Höhenmeter tiefe Abfahrt durch den Pulverschnee, die als Belohnung am Ende des Klettersteigs, auf der Rossfallscharte, auf uns wartet. Widmann, dunkler Bart, helle Augen und Bergbauern-Zähigkeit, ist Skiführer und Chef der Skischule St. Anton. 70 Prozent seiner Arbeitszeit verbringt er mit Gästen im Tiefschnee. „Das Freeriden hat in den letzten Jahren massiv zugenommen“, sagt er, „die meisten Leute wollen nicht mehr nur auf der Piste fahren.“

Bis wir zum Skifahren kommen, ist es aber noch ein weiter Weg, zweieinhalb Stunden über einen Grat, hinauf, hinunter, wieder hinauf, immer auf einer Höhe zwischen 2600 und 2800 Meter. Rechts geht der Blick bis ins Rätikon, links über den Hohen Riffler hinweg bis zu den Ötztaler und Pitztaler Dreitausendern. Das ist landschaftlich außergewöhnlich schön, hat etwas von den Westalpen, als wäre man in noch höherem, wilderem Terrain. Ein Blick direkt nach unten beruhigt: Da kann man den Skifahrern auf den Pisten zuschauen. Sie wuseln die Hänge hinauf und hinunter. An der Bergstation des Riffl-II-Liftes beginnt der Klettersteig. Hier oben aber ist nur der verschneite Felsgrat, der Wind und ein einziger anderer Kletterer, der uns schnell überholt.
Die Skier sind auf den Rucksack geschnallt, was die Sache auch nicht leichter macht. Nicht nur wegen des Gewichts, sondern weil man mit den Skispitzen immer wieder in Konflikt mit dem teils über dem Kopf verlaufenden Drahtseil und den eigenen, dort eingehängten Bandschlingen gerät. Sie verhaken sich. Man muss sich bücken und um die eigene Achse drehen, was auf einem Grat eine verzichtbare akrobatische Nummer ist.

Die Schlüsselstelle
Die Schlüsselstelle

Frank Widmann steigt voraus, wartet, gibt an schwierigen Passagen Tipps. An der Schlüsselstelle, einem Spalt zwischen zwei senkrecht aufragenden und mit hellgrünen Flechten bewachsenen Gneisblöcken, muss man von der einen auf die andere Seite hinüberspreizen, sich hochziehen. „Wenn du da eine Gruppe mit fünf Gästen hast, wartest du gerne mal eine Stunde, bis alle drüber sind“, sagt er. Die Kälte spürt man bald nicht mehr, da die kontinuierliche Bewegung den Körper aufwärmt, sogar die Fingerspitzen.
Am höchsten Punkt, der 2816 Meter hohen Vorderen Rendlspitze, zeigt Widmann bei einem Becher heißen Tee auf das Malfontal, durch das wir bald runterfahren werden. Es sei geplant , zwei Lifte hineinzubauen, um das Skigebiet Kappl mit jenem von St. Anton zu verbinden. Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei schon durch. „Hoffentlich tun sie es nicht“, sagt Widmann, der ja eigentlich von dem ganzen Skizirkus lebt, „das ist das letzte von Liften unverbaute Tal bei uns, sonst kannst du die Abfahrt nach Pettneu runter vergessen.“

Gasser glücklich
Gasser glücklich
Abfahrt durchs Malfontal
Abfahrt durchs Malfontal

Bis jetzt ist das Malfontal den Skitourengehern vorbehalten, oder jenen, die sich über den Winterklettersteig mühen. Danach wäre hier Freeridegelände für alle.Vom höchsten Punkt geht es noch mal ziemlich steil und felsig bis auf die Rossfallscharte runter. Erst hier reicht Widmann die Hand, zieht den Flachmann raus und schenkt die Verschlusskappe voll mit Birnenschnaps. „Der ist ein bisschen gesüßt, das mögen die Gäste lieber als die scharfen Kracher“, sagt Widmann, ganz Skilehrer. Die Abfahrt durch das Tal, in dem er jeden noch unverspurten Hang kennt, ist dann so schön, dass man die Arlberger innerlich übel verwünscht beim Gedanken daran, sie könnten hier Lifte reinbauen.Von Pettneu geht es mit dem Skibus zurück nach St. Anton. Dort, in Widmanns Skischule, stehen ziemlich gute gelaunte bärtige Jungs aus aller Welt herum, Widmanns Skilehrer-Kollegen. Sie zeigen ihm Videos von eigenen Freeride-Fahrten, teils aus Drohnen gefilmt, dann würfeln sie um die nächste Runde Dosenbier, Amerikaner, Holländer, Deutsche. „Ich bin der einzige Einheimische hier“, scherzt Widmann und kassiert das Geld des Verlierers. „Damit machen wir am Saisonende da draußen immer ein großes Grillfest.

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